Anlass / Wie es zu diesem Buch kam

Als ich mich vor Jahren über Religionen informierte, ahnte ich nicht, wohin das führt. Ich stieß auf Arthur Hertzbergs Buch Der Judaismus (Edito-Service S.A., Genf), in dem Hertzberg die Grundlagen des jüdischen Glaubens beschreibt. Ich stellte fest, dass ich zwar als protestantischer Christ erzogen war, dass ich die Bibel selbst aber kaum kannte. Mein Wissen darüber entsprach dem Horizont des Konfirmandenunterrichts. Neben Bibel und Talmud zitiert Hertzberg auch aus dem Werk des hebräischen Dichters Bialik:

Die Thora... ist der erhabene Gedanke und die lebendige Seele der Welt. Ohne sie könnte die Welt nicht bestehen und hätte kein Recht zu bestehen...

Spätestens diese Euphorie für den Wert der Schrift machte mich neugierig. Schlummerte da ein spirituelles Geheimnis, eine uralte Weisheit und ein philosophischer Tiefsinn, von dem ich nichts wusste? Also las ich die Bibel. Statt Weisheit, Geheimnis und Tiefsinn zu finden (obwohl es auch das in der Bibel gibt) erschien mir das Buch jedoch als Manifest einer Gehorsamsideologie, deren historische Wirksamkeit sich bis in den Nationalsozialismus verästelt.

Heute, nachdem ich Bibel und Koran gelesen und als Antwort darauf Cham 2.0 geschrieben habe, bin ich überzeugt: Abrahamitische Religionen mögen aus der Geschichte nicht wegzudenken sein. Es mag auch sein, dass sie Träger kultureller Werte sind, die man nicht missen möchte. Sie stehen wahrer Spiritualität jedoch im Wege. Sie haben sich durch ihren politischen Anspruch und ihre Dogmatik disqualifiziert. Sie sind Ursachen endloser Zwietracht.

Doch Vorsicht:
Bei den drei Glaubensbekenntnissen handelt es sich um komplexe kulturelle Phänomene. Niemand, der sich eine Meinung darüber bildet, wird je in der Lage sein, ein allgemeingültiges Urteil abzugeben. Auch ich nicht. Die Kritik, die ich an den Offenbarungsreligionen übe, ist fundamental. Man kann fragen, ob es überhaupt rechtens ist, weltanschauliche Parallelen zwischen Judaismus und Nationalsozialismus aufzuzeigen. Meine Antwort ist klar: Ich halte das im Interesse einer tiefer gehenden Auseinandersetzung mit den Gräueltaten des Nationalsozialismus für unumgänglich; obwohl ich weiß, dass meine Sicht besonders seine jüdischen Opfer zu empören droht. Trotz meiner Kritik weiß ich aber auch: Unter Juden, Christen und Moslems gibt es genügend, die mir moralisch überlegen sind.